Deutsche Ärzte Grenzenlos

© Oliver Berg, Theater Münster

Mitwirkende

Mitwirkende: Regine Andratschke, Dominik Hahn, Christian Bo Salle, Mariann Yar

„Wir holen medizinisches Personal aus Südeuropa. Die wiederum aus Asien, Afrika und Südamerika. Die Lücken dort füllen dann Ärzte ohne Grenzen. Ein ‚circulus vitiosus‘“.

 

Bei Anton Tschechow, selbst Mediziner, werden Ärzte von Ängsten und Desillusionierung geplagt; bei Henrik Ibsen agieren Realisten mit großer Hybris, und stets sind sie alles andere als die sprich – wörtlichen Götter in Weiß. Tuğsal Moğul Deutsche Ärzte grenzenlos sucht durch die literarisch-historische Perspektive den Blick auf die Gegenwart. Schlaglichtartig wird ein Querschnitt durch den heutigen Krankenhausalltag gezeigt, vom Chefarzt über die Verwaltungsdirektorin bis zur Reinigungskraft. Fragen stellen sich nach der technischen Machbarkeit und Notwendigkeit von Operationen, nach Gewinnmaximierung und wie sehr sich die eigenen Ansprüche und Ideale noch mit der rauen Wirklichkeit vereinbaren lassen. Es entsteht das dichte Bild eines Apparats kurz vor dem Kollaps, eines globalisierten Wettbewerbs um Fachkräfte auf Kosten schwächerer Länder, der Kommerzialisierung der Medizin und ihrer unmenschlichen Arbeitszeiten, sodass Ärztinnen und Ärzte immer öfter selbst behandlungsbedürftig sind. 

Aus dem Stück:

Dr. Ryll: Das war doch wieder mal kein entzündlicher Vorgang. Der Wurm war vollkommen o.B. … ohne Befunde … aber privat.

 Jo: Falsch versichert!

Dr. Ryll: Das sind Kunden. Die sitzen vier Stunden in der Notaufnahmen und verstopfen uns die Notaufnahmen. Und der AOK Opa wartet acht Stunden, kommt nicht dran und stirbt dann zuhause. 

Jo: Die rennen wegen jedem Scheißdreck in die Notaufnahme. 

Dr. Ryll: Wegen jeder piseligen Schnitt- oder Schürfwunde. Wenn mein Kind blutet, dann drück‘ ich doch auf die Wunde und lass es nicht verbluten. Die Angehörigen übernehmen ja auch überhaupt keine Verantwortung mehr. Die rufen die 1-1-2, weil sie zuhause keine Kopfschmerztablette oder einen Mückenstich haben. Bei einem Aufklärungsgespräch fragte mich letztens ein Privatpatient drei oder vier Mal, ob er sein Einzelzimmer sofort nach der OP bekommen kann. Und ich so zu ihm: Sie haben morgen eine sehr schwere OP mit mehreren Tagen auf der Intensivstation, vielleicht sogar mehrere Wochen oder Monate… verstehen Sie mich? Aber er versteht nicht. Er will sein Privatzimmer: Lieber im Einzelzimmer verrecken. (Jo schaut sie sehr ernst an) Was ist denn?

Jo: Sie riechen!

Dr. Ryll: Nach was?

Jo: Pfefferminz. (Jo ab. Auftritt Dr. Gehrke)

Dr. Ryll: Stimmt. Ich bin überarbeitet. Ich finde keine Ruhe. Wir haben extremen Druck. Zahlen, Zahlen, Zahlen. Bedenken Sie die ökonomische Situation des Hauses. Will ich nicht! Auf die Verweildauer achten! Auf die Liegezeiten achten! Will ich nicht! Dafür mehr Zeit zu investieren als für ärztliche Tätigkeiten. (lacht laut) Die Verwaltung fickt die Chefärzte und die Chefärzte ficken uns. Sowas gab es vor 30 Jahren nicht. Niemand von uns wurde damals mit der ökonomischen Seite des Krankenhauses konfrontiert. Die ärztliche Tätigkeit stand im Vordergrund. Danach kam lange nichts.

Dr. Gehrke: (lauscht ihr vom Weiten zu) Und was habt ihr getan? 

Dr. Ryll: Wer sind Sie denn?

Dr. Gehrke: Ich bin Frau Dr. Gehrke, ich halte hier gleich den Vortrag. Was hat Ihre Generation getan? 

Dr. Ryll: Ja. Stimmt. Nichts. Wir haben den Ökonomen die Macht über die Krankenhäuser überlassen. Machen Sie’s doch besser.

Dr. Gehrke: Ja, mach ich.

Dr. Ryll: Viel Spaß beim Vortrag.

Aufführungsrechte: Rowohlt Theaterverlag GmbH, Hamburg

Die Uraufführung sollte am 12. März 2020 stattfinden. Aufgrund der Schließung des Theaters wegen 25 Corona-Fällen musste die Uraufführung in Münster zwei Stunden vor Beginn abgesagt werden. Das Stück konnte nie im Theater Münster analog gezeigt werden.

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