Die Ware Mensch

Eine künstlerische Forschungsreise in medizinisch-ethische Randgebiete

© Jonas Wömpner

Mitwirkende

Schauspiel: Helga Lauenstein, Matthias Buss, Jonas Vietzke

Dramaturgie: Lena Kußmann

Bühne und Kostüm: Maren Geers

Die Texte sind gemeinsam mit dem Ensemble Theater an der Glocksee entstanden.

Große Träume vom großen Geld, große Schritte von der Reproduktionsmedizin zum Designerbaby, von Körperbehandlung zur Optimierung, von der Organspende zum Organhandel – der Marktplatz ist eröffnet: Nieren, Eizellen, Schwangerschaften, Leihmütter, Körperteile, Versicherungen, wie hoch ist der Preis für unsere Gesundheit, für unser Aussehen, unsere Nachkommen, unser Glück? Und was sind wir bereit zu zahlen? Und sind Sie eigentlich Mitglied in einem Fitnessstudio?

93 % Sauerstoff, Kohlenstoff und Wasserstoff. Der Rest Elemente wie Stickstoff, Kalzium oder Phosphor. Ein wenig Magnesium, Eisen und Kupfer, ein paar Spurenelemente. Fertig ist ein Mensch.

Aus dem Stück:

Renate: Eines Tages sah ich mich im Spiegel und sah eine alte Frau. Eine Frau im sogenannten reifen Alter, die ihr Leben damit verbracht hat, anderen Leuten bei der Verschmelzung ihrer DNA zu helfen und ihnen den vermeintlichen Sinn ihres Lebens einzupflanzen. So erbärmlich. Wo war ich denn unter all der Haut? Ich fing an zu trainieren, dann kam Botox, dann kam der Sommer, und der Hüftspeck musste weg, ich wurde immer dünner und trainierte wie besessen. Ich hatte viel gespart. Das wurde jetzt investiert. Ich holte mir meine Jugend, meine Schönheit, OP für OP zurück. Ja, ich glaubte schon wieder die Blicke der Männer auf mir zu spüren, so wie früher: alles Takko. Die Brüste wieder straff, Bauch flach, der Hintern straff, baff. Ich ließ wieder passend machen, was aus der Form geraten war. Und dann – es war ein Routineeingriff, ich hatte keine Angst, tausendfach angewandt, da wachte ich nicht mehr auf. Eine Fettembolie. Äußerst selten, kommt aber vor. Ein Einzelfall. Zufall.

Ilja: Um 20 Uhr 51, und 2 Sekunden darauf prallt mein Körper gegen Kühlerhaube, Stoßstange und die Abendsonne in der Windschutzscheibe. Natürlich helfe ich, wenn ich helfen kann. Dreimal wird mein Hirntod festgestellt, von wechselnden Kolleg*innen, das ist so Vorschrift. Dann beginn die Explantation. Meine Nieren, meine Leber, mein Knochenmark, meine Lunge, mein Herz, meine Hornhäute … alles in bestem Zustand, alles topfit.

Andreas: Ich bin allein. Nun nur mit einem Bein. Die Sonne geht unter. Ich liege im frisch gemähten Gras. Keine Schmerzen, aber diese verdammte Spritzblutung will einfach nicht aufhören. Ich nehme mein Handy, wie verabredet, und wähle die Nummer der Ambulanz. Ich wälze mich hin und her. Ich rieche das Gras und das Blut. Von weitem höre ich die Stimme am anderen Ende der Leitung. Zum Antworten fehlt mir die Kraft. Dann ist aus.

„Harte Themen schneidet das zweite Stück des Arztes und Theatermachers Tuğsal Moğul im Theater an der Glocksee an. Organhandel, Reproduktionsmedizin: ,Höher, schneller, weiter zu leben‘, dahin drängten den Menschen schon seine Gene (…) Die schauspielerischen Leistungen sind großartig, dicht und intim; und so geballt die Texte daherkommen, sie lassen doch Raum für Atmosphäre, für Fragen, für Verwundern über den sich allmächtig dünkenden Menschen. Und für eine fein abgestimmte Pointe am Schluss.“ [Neue Presse, Mai 2013]

„Das Stück ,Lassen Sie mich durch, ich bin Arzt‘, worin der Arzt und Theatermann Tuğsal Moğul vieles einbaute, was er aus beruflicher Anschauung kennt, war die wohl erfolgreichste Produktion des Theaters an der Glocksee. Vor gut einem Jahr hat sich das Theater damit neu erfunden. Nun gibt es die Fortsetzung – und auch sie wird sicher oft vor ausverkauftem Haus gespielt werden. (…) ,Die Ware Mensch‘ vermittelt viele medizinische Fakten, trotzdem ist es kein Vortrag, sondern ein Theaterstück. Ein ziemlich gutes sogar. (…) Schauspielerisch ist das hervorragend, und weil überall auf der Bühne Uhren herumstehen und zeigen, wie die (Lebens-)Zeit vergeht, kann einem das Thema auch persönlich nahegehen. Die hier verbrachte Stunde geht jedenfalls sehr schnell vorbei – und ist gut investiert.“ [Hannoversche Allgemeine Zeitung, Mai 2013]

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