UNSERE ELF

Eine etwas andere Nationalhymne
von Tuğsal Moğul und Maren Zimmermann

© Katrin Ribbe

Mitwirkende

Es spielen: Florence Adjidome, Philippe Goos, Max Koch, Helene Krüger, Viktoria Miknevich, Yasmin Mowafek, Tom Scherer, Hajo Tuschy

Regie: Tuğsal Moğul

Bühne und Kostüme: Vanessa Maria Sgarra

Musik: Tobias Schwencke

Choreographer: Feras Shaheen

Dramaturgie: Vanessa Hartmann, Maren Zimmermann

Live-Musik: Tobias Schwencke, Mikaîl Ezîz, Melanie Streitmatter, Roz Macdonald

A: Russland, Katar, kehren wir doch mal vor der eignen Tür. Sommermärchen 2006: Zu diesem Zeitpunkt mordet der NSU bereits seit 6 Jahren wahllos Migranten in Köln, Hamburg, München, Nürnberg, Rostock, Kassel, Heilbronn und Dortmund.

G: Im Sommer 2004 detoniert eine NSU-Bombe in der Keupstraße in Köln. Der damalige Innenminister Otto Schily sagt nur einen Tag nach dem Nagelbombenanschlag vor laufenden Kameras:

C: „Die Erkenntnisse, die unsere Sicherheitsbehörden bisher gewonnen haben, deuten nicht auf einen terroristischen Hintergrund, sondern auf ein ausländisch kriminelles Milieu.“

E: Wenn bekannt geworden wäre, dass Neonazis jahrelang durch Deutschland reisen und wahllos Migranten ermorden, hätte dies zu einer Hysterie in der Community geführt.

D: Wie reagiert Deutschland? 2005 lanciert der Bertelsmann Konzern mit Hilfe von ARD und ZDF die größte Marketing-Kampagne aller Zeiten:

Alle: Du bist Deutschland

„Warum feuerst du deine Mannschaft im Stadion an, wenn deine Stimme so unwichtig ist? Wieso schwenkst du Fahnen? Du kennst die Antwort: Weil aus deiner Flagge viele werden und aus deiner Stimme ein ganzer Chor.“

F: Und das ganze Land macht mit. 82 Millionen Bundestrainer feiern 2006 fahnenschwenkend die gekaufte WM.

B: War die WM-Euphorie spontan?

E: Oder wurde die Sommermärchen-Stimmung lang im Voraus medial forciert?

H: Zumindest haben die Leute es gefeiert. Aber beim Wunder von Bern …

B: … ist kein bedeutender deutscher Politiker zum Endspiel gereist. Das Finale war nicht ausverkauft.

F: Aus den Tageszeitungen verschwand das Ereignis schon am zweiten Tag nach dem Titelgewinn.

G: Der Pressedienst der CDU warnte gar davor, nach dem Fußballerfolg in Bern von einem ‘deutschen Fußballwunder’ zu sprechen.

C: Und die „Helden“ kehrten in ihren Alltag zurück. Der Sieg-Torschütze Helmut Rahn etwa arbeitete anschließend als Verkaufsleiter einer Entsorgungsfirma für Bauschutt.

D: Heute ist der 54er Weltmeistertitel ein deutscher Mythos. Das …

Alle: … Wunder von Bern

D: Hat es als gemeinschaftliches Erlebnis aber so nicht gegeben. Diese kollektive Erinnerung ist vielmehr ein Produkt von Sönke Wortmanns Film aus dem Jahr 2003. Derselbe Regisseur der drei Jahre den Film „Deutschland“ …

Alle: … „Ein Sommermärchen“ …

D: … veröffentlichte.

E: Woher kommt diese Sehnsucht nach National-Mythen?

A: Was ist schwarz-rot-gold? Was wollen wir?

„Kein Zweifel, Tuğsal Moğul und Maren Zimmermann mögen das, womit sie sich hier beschäftigen, und auch die Erkenntnis, dass Sexismus, Chauvinismus und Entertainment-Ökonomie den Fußball tief durchziehen, kann diese Sympathie letztlich nicht beeinträchtigen. Ja, im Fußball geht es um viel Geld, ja, die Zitate über Frauenfußball dokumentieren ein problematisches Geschlechterverständnis, ja, die Beschreibung der tragischen Figur Mesut Özil, die vom Musterbeispiel für Integration zum türkischen Nationalisten mutierte, beweist, wie kaputt diese Szene einen machen kann … Und doch stehen Moğul und Zimmermann dem Fußball voller Zuneigung gegenüber. In diesem Widerspruch scheint eine Spannung auf, die Unsere Elf zu einem Abend macht, der mehr kann als nur einen Einblick in die Fußballkultur geben. Weil es hier um eine echte Frage geht, die Moğul und Zimmerman zwar stellen aber nicht beantworten: Kann man lieben, obwohl alles gegen diese Liebe spricht? Dass Unsere Elf dabei auch noch theaterästhetisch einiges hergibt, ist ein weiterer Pluspunkt.“
[Nachtkritik]
„Unsere Elf bringt Euphorie, Zweifel und Reflexionen rund um den Fußball überzeugend auf die Bühne … (Der Abend) bekennt sich vollumfänglich zu dem Glück, Fußball zu schauen und zu spielen, und erzählt mit dieser weit verbreiteten Freude am großen sportlichen Drama von dem gesellschaftlichen Wandel in Deutschland …, während nationalistische Erzählungen und tödliche Feindschaften wieder die Weltlage dominieren.“
[Süddeutsche Zeitung]

„Unsere Elf streift durch die Nationalmannschaftsgeschichte und ruft beim Publikum jede Menge persönlicher Erinnerungen wach. Ein kurzweiliger Episodenabend, eine Mischung aus Denkanstoß, Fußball-Wikipedia und gefeiertem Ritualklischee. Der große Applaus für das gesamte Ensemble am Ende zeigt: Die Mannschaft ist der Star.“ [Hannoversche Allgemeine Zeitung]

© 2024 Tuğsal Moğul

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